Illusionen
Man kann sich vorstellen, dass die Entwicklung des rationalen Verstandes irgendwann einmal (vor ca. 30.000 bis 60.000 Jahren) ganz klein angefangen hat:
- mit einem kleinen, einfachen rationalen Modell, das nur einen winzigen Bruchteil der Realität abbildete
- und nur einem geringen Einfluss auf das Verhalten
Im Laufe seiner Entwicklung weitete der Verstand dann beides immer mehr aus bis zu seiner heutigen hochentwickelten Ausprägung:
- Das Modell wurde immer umfangreicher und detaillierter.
- Der Einfluss des Verstandes auf das Verhalten wurde immer stärker.
Das hat mit der Entdeckung der Naturgesetze durch die Wissenschaft und der darauf aufbauenden Technologie zu einem gewaltigen Fortschritt geführt. Der enorme Erfolg hat den Verstand dazu verleitet, sein auf der Wissenschaft basierendes Weltbild als endgültig und vollständig anzusehen. Er reduzierte die Realität kurzerhand auf das, was die Wissenschaft erfassen kann: Materie und ihre Gesetzmäßigkeiten
Indem der Verstand sich einbildet, sein gegenwärtiges wissenschaftliches Weltbild würde die Realität bereits vollständig abbilden, erschafft er die Illusion, das ganze Universum sei auf rein rationale Weise vollständig kontrollierbar. Die Illusion gibt dem Verstand ein Gefühl von Macht und Kontrolle, so wie es auch echte Erkenntnis tun würde. Deshalb kann der Verstand Illusion und Erkenntnis nicht auseinanderzuhalten.
Gleichzeitig markieren Materie und ihre Gesetzmäßigkeiten auch tatsächlich die Grenzen einer reinen Rationalität. Der über Materie und ihre Gesetzmäßigkeiten hinausgehende Teil der Realität ist für den Verstand in seiner gegenwärtigen Form nicht erfassbar. Die Psyche als Ganzes wäre dazu aber sehr wohl in der Lage. Allerdings hat der Verstand im Laufe seiner Entwicklung genau jene Teile der Psyche immer mehr unterdrückt und aus ihrer Funktion gedrängt, die dafür benötigt würden, weil er ihre Bedeutung und Funktion nicht erkannt hat.
Würde der Verstand sich eingestehen, dass Realität über Materie und ihre Gesetzmäßigkeiten hinausgeht, dann würde ihn das mit Gefühlen von Ohnmacht und Hilflosigkeit konfrontieren, weil er in seiner derzeitigen Form nicht dazu in der Lage ist, diesen Teil der Realität in seinem Modell abzubilden. Deshalb weist der Verstand jede Information entrüstet zurück, die seine Illusion einer vollständigen rationalen Kontrollierbarkeit des Universums in Frage stellt. Die Illusion muss zuerst durchbrochen werden, ehe weiterführende Informationen auf fruchtbaren Boden fallen können.
Die Diskrepanz zwischen seinem reduzierten Weltbild und der Realität führt zwangsläufig zu Widersprüchen zwischen Weltbild und Wahrnehmung der Realität. Diese Widersprüche blendet der Verstand durch unbewusste, aber geschickt angelegte rationale Tricksereien einfach aus:
- Er bezeichnet sich selbst als die "Vernunft" und suggeriert so, dass alles, das nicht rational ist, unvernünftig sei.
- Er unterscheidet nicht zwischen Naturgesetzen und den Gesetzmäßigkeiten superkomplexer Systeme.
- Er schiebt das Scheitern rationaler Strategien menschlicher Unfähigkeit oder Unwilligkeit in die Schuhe, seine rationalen Strategien richtig umzusetzen, anstatt sich einzugestehen, dass diese Strategien in der Praxis einfach nicht funktionieren.
- Grundbegriffe, die permanent in Gebrauch sind, werden nicht klar definiert.
- Teile der Wahrnehmung werden ausgeblendet.
- Zusammenhänge werden nicht hergestellt.
- Notwendige Unterscheidungen werden nicht getroffen.
- Fundamentale Teile des rationalen Weltbilds führen eine Art Schattendasein im Unterbewusstsein und werden so nie bewusst angeschaut und hinterfragt.
Ein großer Teil des Unterbewussten ist nur deshalb unterbewusst, weil die Informationen der innerpsychischen Wahrnehmung nicht verarbeitet werden.
Der Drang des rationalen Verstandes zur Bildung von Illusionen beantwortet auch die Frage, warum zigtausende Wissenschaftler den Zusammenhang zwischen der Anwendung von Gesetzmäßigkeiten und ihrer Veränderung nicht bemerken, obwohl dieser Zusammenhang die gesamte menschliche Existenz fundamental durchzieht (und auch überhaupt erst hervorgebracht hat). Ein wissenschaftlicher Beweis dieses Zusammenhangs ist problemlos möglich, sobald die Bereitschaft entsteht, sich einer Wahrheit zu stellen, die rationale Urängste auslöst (dazu später mehr).
Es geht deshalb im Folgenden darum:
- Die Illusionen abzubauen und
- ein erweitertes Weltbild aufzubauen.
Da das derzeitige wissenschaftliche Weltbild mit der Illusion einherkommt, es wäre bereits das Ganze, braucht es eine Art erweitertes weltanschauliches Fundament, in das sich das bisherige wissenschaftliche Weltbild genauso einordnen lässt, wie die fehlenden Teile der Realität:
Die Entstehung des Verhaltens im Inneren der Psyche korrespondiert unmittelbar mit der Frage, was Leben ausmacht und wie das Leben entsteht. Die Wissenschaft "beantwortet" diese Frage mit der Evolutionstheorie. Anhand der Evolutionstheorie lässt sich gut nachvollziehen, wie der Verstand seine Illusionen aufbaut. (Siehe nächste Kapitel)
Aus Sicht der Wissenschaft ist Religion nichts weiter als ein völlig überholtes Weltbild, das durch die Wissenschaft abgelöst wurde. Tatsächlich aber beschreibt die Religion genau den Teil der Realität, der durch die Wissenschaft gar nicht erfasst wird. Das Problem ist nur, dass die symbolhafte, mystifizierende Darstellung der Religion dem heutigen extrem versachlichten Verstand nicht mehr zugänglich ist.
Ziel dieses Textes ist es, ein rationales Modell für den fehlenden Teil des Weltbildes aufzubauen. Das ist gleichbedeutend damit, den durch die Religion repräsentierten Teil der Realität in einer dem heutigen Denken entsprechenden, versachlichten Sprache darzustellen, mit den gleichen Grundbegriffen, auf denen auch die Wissenschaft aufbaut.
Doch bevor diese Informationen auf fruchtbaren Boden fallen können, müssen Illusionen wie die Evolutionstheorie zunächst abgebaut werden.