Projektionen
Das Verhalten der Lebewesen wird von einem Potential angetrieben, das innerpsychisch aus der Wahrnehmung entsteht. Dabei spielt eine Form der innerpsychischen Wahrnehmung eine besondere Rolle: die Projektion. Die Psyche simuliert ununterbrochen mögliche zukünftige Entwicklungen. Sie projiziert die Gegenwart in die Zukunft. Es kann sich dabei um die nächsten Sekunden, Minuten oder Stunden handeln, aber auch um Tage, Wochen, Monate, Jahre oder Jahrzehnte. Das Ich erstellt mögliche Versionen einer zukünftigen Entwicklung. Die Projektionen spielen eine zentrale Rolle bei der Entstehung des Potentials, aus dem das Verhalten hervorgeht.
Die Projektionen entstehen in der Regel als Assoziation zu anderen Wahrnehmungen, aber häufig sind sie es, die letztlich das Potential entfalten, das zu einem Verhalten führt.
Bei einem positiven Potential wird das Ich zu einem Zustand hingezogen. Damit das Ich von einem Zustand angezogen werden kann, muss es ihn kennen. Die Sinneswahrnehmung nimmt aber nur den Ist-Zustand wahr. Erst die Zukunftsprojektion bringt eine innerpsychische Wahrnehmung hervor, welche dann das Potential entfaltet. Wir sehen zum Beispiel jemandem bei der Ausübung einer Sportart zu und bekommen selbst Lust, das zu tun, weil wir uns innerlich vorstellen, wie wir selbst die Sportart ausüben und das erzeugt das Potential.
Die Psyche erschafft fiktive Zukunftsprojektionen, welche den Zustand der Gegenwart in die Zukunft projizieren. Aus dem Spannungsfeld von Gegenwart und Zukunft - dem Potentialunterschied - entsteht Verhalten.
Bei einem negativen Potential könnte man argumentieren: "Da wir nur abgestoßen werden, braucht es keine fiktive Zukunftskomponente." Tatsächlich gibt es die fiktive Komponente aber auch bei einem negativen Potential, denn wir müssten ja nicht selbst aktiv werden, wenn sich der negative Zustand ohne unser Zutun in einen positiven wandelt. Auch ein negatives Potential ist deshalb immer mit einer Zukunftsprojektion verbunden, anhand der sich entscheidet, ob wir selbst aktiv werden müssen oder nicht. Oft geht ein negatives Potential auch von zukünftig erwarteten negativen Zuständen aus, die aktuell noch gar nicht eingetreten sind.
Der rationale Verstand hat diese Ebene der Verhaltensentstehung nicht im Blick. Sie existiert in seinem Weltbild nicht, weil er irrtümlich sich selbst für den Ursprung des Verhaltens hält. Dennoch setzt er die realen Mechanismen der Verhaltensentstehung unbewusst ein. Das muss er, denn Verhalten entsteht NUR so (ohne Potential kein Verhalten) und der Verstand hat ja den Anspruch, das Verhalten zu kontrollieren.
Rationalität an sich erzeugt kein Potential. Ein Verhalten kann auf rationaler Ebene noch so "richtig" sein - das bedeutet noch lange nicht, dass es auch in Gang kommt. Deshalb greift der Verstand unbewusst zu einem Trick: Er erzeugt ein negatives Potential, indem er die Konsequenzen des Nicht-Handelns zu einer absoluten Horrorvision aufbläst: "Wenn du das jetzt nicht tust, dann passiert etwas gaaaanz Schlimmes!"
Der Verstand erzeugt unbewusst negative Zukunftsprojektionen, die schlimm genug sind, um das rational "richtige" Verhalten in Bewegung zu setzen. Aus Sicht des Verstandes ist das kein Problem, denn es geht ja um das "richtige" Verhalten. Praktisch real ist es aber doch ein Problem, denn damit erschafft der Verstand unbewusst genau das Gegenteil dessen, was er eigentlich erreichen möchte. Und je schlimmer alles wird, um so nachdrücklicher treibt sich der Verstand mit negativen Projektionen an und macht damit alles noch schlimmer.